„Die EU-Kommission schlägt einen enormen Budgetanstieg vor. Nach dem Tabubruch erstmaliger Gemeinschaftsschulden im Jahr 2020 scheinen alle Dämme gebrochen zu sein. 700 Milliarden Euro Mehrausgaben ohne wirkliche Zweckbindung sind den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar. Es wäre auch der falsche Weg. Denn: An den rechtlichen Zuständigkeiten der EU hat sich nichts geändert. Die Mitgliedstaaten würden durch die Zustimmung zum Haushalt einem faktischen Kompetenzzuwachs in Brüssel zustimmen. Das ist undemokratisch und wäre eine höchst bedenkliche Entwicklung.“
EU-Steuern unbedingt auf die Rückzahlung von Schulden begrenzen
Der Europaminister nahm auch zu den Vorschlägen erstmaliger EU-Steuern Stellung: „Mit den vorgeschlagenen EU-Steuern auf Elektromüll, Tabak und umsatzstarke Unternehmen sollen die Schuldensünden der vergangenen Jahre finanziert werden. Das ist eine ganz bittere Pille. Mir fehlt an dieser Stelle aber das eindeutige Bekenntnis, dass diese Steuern ein absoluter und einmaliger Ausnahmefall zur Refinanzierung der EU-Schulden sind. Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass EU-Steuern keine dauerhafte Einrichtung werden. Hessen fordert deshalb eine strenge Zweckbindung der Steuereinnahmen auf die Rückzahlung der EU-Schulden sowie ein klares Signal, dass es keine weiteren Schuldenaufnahmen durch die EU gibt.
Neue Haushaltsstruktur schwächt Länder – Bundesregierung in der Verantwortung
Doch es ist nicht nur die Höhe des vorgeschlagenen EU-Haushaltes. Auch die neue Struktur stößt auf heftige Kritik. Denn damit sollen europäische Haushaltsmittel für die Regionen wesentlich zentraler bewirtschaftet werden. Das aber wäre eine Abkehr von der bisherigen Praxis der geteilten Mittelverwaltung, bei der Fördermittel der EU nicht zentral aus Brüssel vergeben, sondern gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und Regionen geplant werden. Nunmehr soll der regionale Anteil dieser Praxis nahezu abgeschafft werden. Im Klartext: Die Länder hätten kaum noch einen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Mittel. Die Bundesebene würde direkt mit der EU-Kommission über die Verwendung der Mittel verhandeln. Dies gab es schon einmal bei der Programmierung des NextGenerationEU-Fonds (Corona-Wiederaufbau-Fonds). Seinerzeit wurden die Länder durch die Bundesregierung nur im geringen Maß einbezogen. Hessen hatte bereits im Dezember 2024 einen Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht, der sich klar gegen Pläne ausspricht, diesen schlechten Präzedenzfall zur neuen Praxis zu machen.
„Einstieg in neue Haushaltsstruktur wäre Ende der EU, wie wir sie kennen.“
Europaminister Manfred Pentz dazu: „Wer die Regionen schwächt, schwächt Europa in seiner Vielfalt. Das ist hier der Fall, denn bei der geplanten Umstellung der Haushaltsstrukturen werden die Regionen massiv geschwächt. Hessen ist eine starke Region in Europa und wir glauben an das Europa der Regionen. Gerade weil die EU oft in der Kritik steht, weit weg von den Menschen zu handeln, sollte sie die mit Abstand sichtbarsten Maßnahmen Europas in den Regionen nicht weit weg von den Bürgerinnen und Bürgern planen. Die Pläne der EU-Kommission würden die regionale Ausgestaltung der europäischen Regionalförderung quasi abschaffen und die Regionen zu Almosenempfängern ohne jeglichen Gestaltungsspielraum degradieren. Es würde die politische Bedeutung der Regionen und damit auch die demokratische und legitimatorische Verwurzelung der EU schwächen. Bereits jetzt zeigt sich erhebliche Kritik in den Regionen, im Ausschuss der Regionen und im Europäischen Parlament. Die EU-Kommission sollte diese Reaktionen ernst nehmen. Ansonsten drohen lähmende Haushaltsdebatten und Klagen beim EuGH.“
NextGenerationEU-Fonds schlechteste aller Blaupausen für EU-Haushalt
Pentz weiter: „Das ist auch keine nur theoretische Diskussion. Bereits seit Jahren kritisiert der Europäische Rechnungshof die Wirksamkeit des NextGenerationEU-Fonds. Mit den geplanten Nationalen und Regionalen Partnerschaftsplänen (NRP) würde die EU-Kommission die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen. Wir haben aber auch bei der Erstellung der Nationalen Resilienz- und Aufbaupläne gesehen, dass die Befürchtungen, dass die Länder keinerlei wirksames Mitspracherecht haben, berechtigt sind. Berlin hatte die europäischen Gelder dazu benutzt, eigene Haushaltslöcher zu stopfen und darüber lange vorher versprochene Bundesprogramme zu finanzieren. Die Pläne der EU-Kommission wären deshalb nichts anderes als ein Subventionsprogramm für den Bundeshaushalt zu Lasten der Länder. Die im neuen EU-Haushalt vorgesehene „Flexibilität für unerwartete Ereignisse“ ist darüber hinaus schon im Ansatz intransparent und unberechenbar. Hessen unterstützt daher die kritische Haltung der Bundesregierung hinsichtlich der Höhe des Haushaltes und fordert die Bundesregierung auf, sich entsprechend dem Beschluss des Bundesrates auf europäischer Ebene auch gegen die Zentralisierung des EU-Haushaltes auszusprechen.“
„Sollte die neue Haushaltsstruktur kommen, brauchen wir eine gesetzliche Grundlage für die Einbeziehung der Länder“
„Für den Fall, dass diese Haushaltsstruktur wirklich Realität wird, brauchen wir eine gesetzliche Regelung für die Einziehung der Länder bei der Erstellung der NRP. Hessen wird das bei der nächsten Europaministerkonferenz zum Thema machen“, sagte der Minister und fuhr fort: „Und um es klarzustellen: Dabei geht es nicht um Eitelkeiten der Regionen, sondern uns geht es darum, wie künftig kleinere und mittlere Unternehmen, soziale Einrichtungen oder überbetriebliche Berufsbildungsstätten vor Ort unterstützt werden. Es gibt schlicht keinen Grund für einen Systemwechsel von regional zu national. Wir brauchen keine weitere bürokratische Ebene in der Förderpolitik, sondern bürgernahe Lösungen vor Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Berlin besser als Wiesbaden weiß, wo in Fulda, Frankfurt oder Kassel der Schuh drückt. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Mittelverwaltung selbst, sondern auch für die Frage der Verteilungsgerechtigkeit und vor allem der Transparenz. Von Finanzperiode zu Finanzperiode gibt es die Diskussionen, die starken Regionen weniger oder gar nicht mehr zu fördern. Doch wer solche Ideen vertritt, verkennt die wirtschaftliche Strahlkraft starker Regionen über ihre Grenzen hinweg. Es nützt nichts, nur die strukturschwachen Regionen zu fördern und dabei die Zugmaschinen unseres Wohlstandes zu vernachlässigen. Auch starke Regionen wie Hessen stehen vor besonderen Herausforderungen, etwa bei der Digitalisierung oder im Bereich der Forschungsinfrastruktur“, sagte Manfred Pentz.
Minister warnt vor tektonischer Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der EU
„Letztlich“, schloss der Minister, „geht es bei der Debatte auch um die Struktur der EU insgesamt. Die EU öffnet die Tür für eigene Einnahmen – unabhängig von den Beiträgen der Mitgliedstaaten. Das wird das politische Gewicht des Verbundes souveräner Staaten weiter in Richtung eines zentral organisierten Bundesstaates Europa verschieben. Das werden insbesondere kleine Mitgliedstaaten zu spüren bekommen. Wenn die EU-Kommission über milliardenschwere Programme mit den nationalen Regierungen verhandelt, gibt es ihr künftig eine Verhandlungsmacht, die sie auf politischer Ebene nicht hat. Sie könnte also Reformen in den Mitgliedstaaten einfordern, für die sie in den EU-Verträgen keine Zuständigkeit hätte. Würden die Vorschläge umgesetzt, liefe man Gefahr, eine schleichende Kompetenzverschiebung zu Gunsten der europäischen Ebene zu begünstigen.“